Rilke besuchte während seines ersten Aufenthalts in Paris (1902-1906) häufig den Jardin des Plantes, einen botanischen Garten im Südosten von Paris. Dort beobachtete er sehr genau eine Löwin im Raubtierkäfig, die unruhig um ihren kranken Gefährten schlich. Er verarbeitete seine Eindrücke zuerst in der Prosaskizze "Der Löwenkäfig" und übertrug sie dann auf sein Gedicht "Der Panther", ein wunderschönes, aber auch schwieriges Werk.
Dieser botanische Garten, der seit 1626 existiert, hat eine besondere Geschichte. Während der französischen Revolution wurden im Jahr 1793 alle exotischen Tiere an die Forscher des Jardin des Plantes ausgeliefert. Sie sollten sie schlachten und ausstopfen. Diese ließen jedoch die Tiere am Leben, und so entstand die Ménagerie du Jardin des Plantes, der älteste Tiergarten, den es heute noch gibt.
Das Gedicht „Der Panther" fällt unter die Kategorie der Dinggedichte, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr in Mode waren. In einem Dinggedicht wird ein Gegenstand oder Lebewesen distanziert oder objektiviert erfasst und beschrieben. Das Gedicht hat den Anspruch, das Ding, in diesem Fall den Panther, so auszudrücken, als würde es über sich selbst sprechen. Auch hier wird ausschließlich der Panther beschrieben, wobei die ersten beiden Strophen von einem äußeren Betrachter stammen könnten. Die dritte Strophe beschreibt den inneren Zustand des Panthers, dem Einblick von außen entzogen. Es wird also mittels dieses Stilmittels versucht, das Äußere und das Innere des Panthers in seiner Gesamtheit darzustellen.
Das Versmaß in dem Gedicht ist ein fünfhebiger Jambus, mit einziger Ausnahme im letzten Vers, der nur aus einem vierhebigen Jambus besteht. Dies hebt die Wirkung des beschriebenen Bildes hervor, der Wahrnehmung des Panthers, die im Inneren nicht mehr existiert. Das geregelte Versmaß erlischt, und mit ihm der Sinneseindruck des Panthers. Die Kadenzen sind abwechselnd stumpf und klingend, was für die unablässige Bewegung des Tieres in seinem Gefängnis steht. Auch der Kreuzreim (abab, cdcd, efef) steht für die steten Schritte des Panthers. Das Substantiv „Panther" taucht nur in der Überschrift auf. Später folgen nur noch Pronomen und Beschreibungen des Panthers.
Uta Plisch
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
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Quellenhinweis:
Die Abbildung der Handschrift "Der Panther" wurde entnommen aus dem Buch "Kennst du Rainer Maria Rilke?" von Horst Nalewski, erschienen im Bertuch-Verlag Weimar 2005.