Der deutsche Lyriker nimmt den Leser in eine farbenfrohe und Glück vermittelnde Herbstwelt mit. Die düsteren Impressionen der Jahreszeit lässt Geibel dabei außen vor. Viel mehr fokussiert er sich thematisch auf die positiven Sinneseindrücke der herbstlichen Natur und vermittelt somit eine optimistische Sichtweise. Mit einer sehr anschaulichen Sprache lässt der Dichter die Welt nochmals aufleben, bevor die kühlen Winde das letzte Blatt vom Baum wehen.
Carolin Eberhardt
1. Nun strömet klar von oben
Der Tag ins Land herein,
Aus tiefem Blau gewoben
Und lichtem Sonnenschein.
2. Es will noch einmal blühen
Der Wald, bevor er starb;
Er prangt in goldnem Glühen
Und lächelt purpurfarb.
3. Und fern im Glanze schließet
Sich Berg an Berg gereiht,
Und Sabbatstille fließet
Im Tale weit und breit.
4. Was will dich's Wunder nehmen,
O Freund, zu dieser Frist,
Dass deine Brust ihr Grämen
Wie einen Traum vergisst?
5. Dass du der alten Sorgen
Mit Lächeln nur gedenkst
Und in den goldnen Morgen
Dich voll und froh versenkst?
6. O gib dich hin dem Frieden
Und sauge diesen Glanz,
Der aller Welt beschieden,
In deine Seele ganz.
7. Lass Ruh' und Lied sich gatten
Bei frommem Harfenklang,
Der letzten Trauer Schatten
Versühne mit Gesang.
8. Der Sonne heb‘ entgegen
Den Becher jungen Weins,
Und heischt der Trunk den Segen,
So wünsche segnend eins:
9. Dass, wenn nach Freud' und Leide
Dein Herz einst brechen will,
Wie dieser Herbst es scheide
So heiter, groß und still.
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Bildquelle
Vorschaubild: View in the White Mountains, ~1827, Urheber: Thomas Cole via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Äpfel, Birne und Igel, 2020, Urheber. AnnaliseArt via Pixabay CCO.
Herbstlaub, 2014, Urheber: stux via Pixabay CCO.