Goethe hat sie in seinen Werken Faust I und Faust II thematisiert und dabei die Gestalten der antiken Mythologie versammelt. Doch bereits zuvor beschäftigte sich der Dichterfürst mit dem heidnischen Brauchtum der Walpurgisnacht. Bereits im Jahr 1799 verfasste er die Ballade „Die erste Walpurgisnacht“, mit der Absicht, diese vertonen zu lassen. Die musikalische Inszenierung des Textes übernahm Felix Mendelssohn Bartholdy 1833 in der Form einer Ouvertüre für Soli, Chor und Orchester.
Inhaltlich bereitet Goethe die Theorie eines zeitgenössischen Altertumforschers auf, die davon ausgeht, dass sich die heidnischen Glaubensanhänger, vertrieben durch die fortschreitende Christianisierung, am Frühlingsanfang in den unzugänglichen Gebirgen des Harzes versammelten, um dort ihre althergebrachten Bräuche zu zelebrieren. Um ihre christlichen Widersacher von der Ritusstätte fernzuhalten, vermummten sich die Heiden mit teufelsähnlicher Maskerade.
Carolin Eberhardt
1. Chor des Volkes
Es lacht der Mai!
Der Wald ist frei
von Eis und Reifgehänge.
Der Schnee ist fort;
Am grünen Ort
Erschallen Lustgesänge.
2. Ein Jüngling
Ein reiner Schnee
Liegt auf der Höh‘;
Doch eilen wir nach oben,
begeh’n den alten heil’gen Brauch,
Allvater dort zu loben.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
So wird das Herz erhoben.
3. Chor der Druiden und des Volkes
Die Flamme lodre durch den Rauch!
Begeht den alten heil’gen Brauch,
Allvater dort zu loben!
Hinauf! Hinauf nach oben!
4. Eine alte Frau aus dem Volke
Könnt ihr so verwegen handeln?
Wollt ihr denn zum Tode wandeln?
Kennet ihr nicht die Gesetze
Unsrer harten Überwinder?
Rings gestellt sind ihre Netze
Auf die Heiden, auf die Sünder.
Ach, sie schlachten auf dem Walle
Unsre Väter, unsre Kinder,
und wir alle
nahen uns gewissem Falle.
5. Chor der Weiber
Auf des Lagers hohem Walle
Schalachten sie uns unsre Kinder.
Ach, die strengen Überwinder!
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.
6. Ein Druide
Wer Opfer heut
Zu bringen scheut,
verdient erst seine Bande.
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei,
und schichtet es zum Brande!
7. Chor der Druiden
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei,
und schichtet es zum Brande!
8. Ein Druide
Doch bleiben wir
Im Buschrevier
Am Tage noch im Stillen,
Und Männer stellen wir zur Hut,
Um eurer Sorge willen.
Dann aber laßt mit frischem Muth
Uns unsre Pflicht erfüllen.
Vertheilt euch, wackre Männer, hier!
9. Chor der Wächter und des Volkes
Vertheilt euch, wackre Männer, hier
Durch dieses ganze Waldrevier,
und wachet hier im Stillen,
wenn sie die Pflicht erfüllen.
10. Ein Wächter
Unsre Feinde, diese Christen,
laßt uns keck sie überlisten!
Mit dem Teufel, den sie fürchten,
wollen wir sie selbst erschrecken.
Kommt! Mit Zacken und mit Gabeln
Und mit Gluth und Klapperstöcken
Lärmen wir bei nächt’ger Weile
Durch die engen Felsenstrecken.
11. Chor der Wächter
Kommt mit Zacken und mit Gabeln,
wie der Teufel, den sie fürchten,
und mit wilden Klapperstücken
durch die leeren Felsenstrecken!
Kauz und Eule
Heul‘ in unser Rundgeheule!
12. Ein Druide und Chor des Volkes
So weit gebracht,
daß wir bei Nacht
Allvater heimlich singen!
Doch ist es Tag,
Sobald man mag
Ein reines Herz dir bringen!
Du kannst zwar heut,
Und manche Zeit
Dem Feinde viel erlauben.
Die Flamme reinigt sich vom Rauch;
So reinig‘ unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch;
Dein Licht, wer will es rauben!
13. Allgemeiner Chor
Dein Licht, wer will es rauben!
14. Ein christlicher Wächter
Hilf, ach hilf mir, Kriegsgeselle!
Ach, es kommt die ganze Hölle!
Sieh, wie die verhexten Leiber
Durch und durch von Flamme glühen!
Menschen-Wölf‘ und Drachen-Weiber,
Die im Flug vorüberziehen!
Welch‘ entsetzliches Getöse!
Laßt uns, laßt uns alle fliehen!
Oben flammt und saust der Böse;
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllen-Broden.
15. Chor der christlichen Wächter
Schreckliche verhexte Leiber,
Menschen-Wölf und Drachen-Weiber!
Welch‘ entsetzliches Getöse!
Sieh, da flammt, da zieht der Böse!
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllen-Broden.
16. Chor der Druiden und des Volkes
Die Flamme reinigt sich vom Rauch;
So reinig‘ unsern Glauben!
17. Ein Druide
Und raubt man uns den alten Brauch;
Dein Licht, wer kann es rauben!
18. Allgemeiner Chor
Und raubt man uns den alten Brauch;
Dein Licht, wer kann es rauben!
Textquelle:
Gedicht entnommen aus: Die erste Walpurgisnacht. Ballade. Gedicht von Göthe. In Musik gesetzt von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Wien: ag des Vereins "Haydn" - Buchdruckerei von Eduard Sieger, 1869.
Vorschaubild: Walpurgisnacht, Gemälde von Albert Welti (1862-1912), 1896/97 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.