Theodor Fontane
Georg Bürke
Theodor Fontane (1819-98) - Wegbereiter und Weggenosse der Naturalisten
Theodor Fontane wurde 1819 als Sohn eines Apothekers französisch-hugenottischer Abstammung in Neuruppin geboren. Sein Vater und seine Mutter waren Bürger von Berlin. Nach mehrjähriger Apothekerzeit in Berlin, Dresden und Leipzig wandte er sich der Schriftstellerei zu und ließ sich zu diesem Zweck immer wieder in Berlin nieder. Dort nahm er regen Anteil am literarischen Leben der Stadt. Zeitweise arbeitete er in den Jahren 1855 und 1856 als Berichterstatter in London, dann ging er wieder nach Berlin um dort als Theaterkritiker, Journalist und Dichter zu arbeiten. In den Jahren 1870 und 1871 war er als Kriegsberichterstatter tätig, wodurch er für kurze Zeit in französische Gefangenschaft geriet. Erst durch dieses Erlebnis 1870, mit 50 Jahren, begann er auch Romane zu schreiben, in denen heute seine Hauptbedeutung liegt. Im Jahre 1876 wurde er Sekretär der Berliner Akademie der Künste und erhielt 15 Jahre später 1891 den Schillerpreis. Des Weiteren wurde ihm 1894 die Ehrendoktorwürde der Berliner Universität verliehen. 1898 starb er mit 79 Jahren in Berlin.
Werke:
Die Werke Fontanes kann man in 3 Schaffensperioden einordnen. In die erste Periode kann man die Lyrik zählen, denn Theodor Fontane war seit ungefähr 1851 als Dichter tätig. Das wichtigste Werk dieser Periode sind die Balladen von 1861. Die zweite Schaffensperiode befasst sich mit Wanderbüchern aus dem Volksleben, der Geschichte und Natur der Heimat. Beispiel für die Zeit ist die fünfbändige Sammlung „Wanderungen durch die Mark Brandenburg", die er zwischen 1862 und 1882 schrieb. Die letzte Schaffensperiode bezieht sich auf die zeitgeschichtlichen Romane Fontanes, auf welchen seine Hauptbedeutung liegt.
Eigenart:
Zu Theodor Fontanes Eigenarten zählt Unteranderem ein weltanschaulicher Indifferentismus, jedoch auf einem pessimistischen Hintergrund. Das bedeutet für ihn ein Verzicht auf eine Sinndeutung des Lebens. „Halte dich still, halte dich stumm - nur nicht fragen warum? Warum?" Fontane glaubt nicht an einen großen Sinn im Leben. Das Leben ist im Grunde gleichgültig, es hat nicht viel zu bedeuten; man muss es einfach als gegebene, sinnentleerte Tatsache nehmen, wie es ist. Daher bezeichnet man es in diesem Sinne auch als sittlicher Indifferentismus: Große Ideen über dem Alltag, ideale, Tugend, sittliches Streben, Heldentum usw. sind belanglos, weil es keine festen Wertmaßstäbe gibt. Demgemäß sind auch sittliche Werturteile unangebracht. Die einzig gemäße Haltung gegenüber der Welt und den Menschen ist vorurteilsloses Verstehen und mildes Verzeihen und Lächeln. Die einzige Aufgabe des Lebens ist deshalb: „In der Bresche stehen und aushalten, bis man fällt, das ist das Beste. Vorher aber im Kleinen und Kleinsten so viel herausschlagen wie möglich und ein Auge dafür haben, wenn die Veilchen blühn." Dabei sollte man aber an der sittlichen Wohlanständigkeit festhalten, die bestimmt wird durch Familienrücksicht, Herkommen, Überlieferung und Gesellschaft. „Glück braucht der Mensch nicht, aber Ordnung; bei Lebenskonflikten kommt in der Regel nicht viel heraus; Worthalten und Gesetzerfüllen ist das allein Empfehlenswerte." Das spricht für eine ganz und gar brüchige und hohle Lebensauffassung Fontanes.
Eine weitere Eigenart Fontanes ist der Humor, der als Aufhellung des weltanschaulichen Pessimismus dienen soll: „Humor hat das Darüberstehen, das heiter souveräne Spiel mit den Entscheidungen dieses Lebens zur Voraussetzung." Humor, ein ironisches Lächeln, befreiendes Lächeln des Wissenden und Verstehenden, die innere Überlegenheit über sich selbst und das Getriebe muss man sich erwerben. Aber dieser Humor Fontanes ist müde Resignation ohne höheren Sinn.
Die dichterische Aufgabe ist bei Fontane ein distanziertes, unparteiisches, scharfes Beobachten, ein unvoreingenommenes Verstehen und Darstellen: es gibt keine Stellungnahme zu den Dingen der Welt oder eine Meidung jeden Werturteils, sondern nur die genaue Wirklichkeit, den ganzen Menschen in seinen Vorzügen und Schwächen unbeteiligt zu betrachten. Beobachten ist Fontanes Leidenschaft, wobei er jedoch immer einen inneren Abstand einhält. Als meisterhaft scharfer Beobachter schildert er Menschen und Dinge naturgetreu, nüchtern, sachlich, so wie sie sich unmittelbar darbieten, aber innerlich vornehm, gütig, liebevoll, mit lebenswürdigem, verständnisvollem Sinn für menschliche Schwäche und Unzulänglichkeit, skeptisch, humorvoll, witzig, ironisch, ohne dabei zu verletzen. Fontane verzichtet auf eine Idee in seiner Dichtung. Er verzichtet auf große Stoffe, auf das Außergewöhnliche und beschränkt sich auf die Sphäre des Durchschnittsmenschen der gesellschaftlichen Mittel- und Oberschicht, auf das Einfache, Nächstliegende, Selbstverständliche. Fontanes Dichtung ist eine scharf beobachtete Kleinmalerei, eine physiologische Vertiefung, eine beschauliche Freude und das Vergnügen am Kleinsten, trotz der Nichtigkeit alles Irdischen. Ebenso verzichtet Fontane auf eine spannende Handlung. Er will die Handlung nur schlicht gestalten und die Seele sichtbar machen. Dies kann man mit der kühlen Skepsis, der verstandesklaren Nüchternheit und seinem vorgerücktem Alter, in dem er seine Romane schrieb, begründen.
Theodor Fontane war überdies ein Meister der Sprache: knapp, anschaulich, volkstümlich, einfach, natürlich, mit einer strengen Zucht der Wörter. Er verbannte alles Unechte, Phrasenhafte, Theatralische und Pathetische. Fontane liebte jedoch geistvolle, scharf geschliffene Formulierungen, die blitzartig eine ganze Situation beleuchteten. „Personen, die nicht da waren, wissen immer alles am besten." „Geschwister kennen sich überhaupt nicht." „Jedes Zusammensein braucht einen Schweiger." Dies und die meisterhafte Kunst des Dialogs verdankte Fontane wohl seiner französischen Abstammung. Ein beliebtes Stilmittel ist die Charakterisierung der einzelnen Gestalten durch ihre Rede im vertrauten Kreis.
Aus allen Eigentümlichkeiten Fontanes spricht die Mischung von französischem Formsinn und preußischem Wesen. In seinem Wesen und in seinen Werken ist Fontane der typische Vertreter und Spiegel der bürgerlichen Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, da alle menschlichen Bindungen und Ideale fragwürdig und brüchig geworden sind und die bürgerliche Welt zu Ende geht, um einer neuen Ordnung und einer neuen Gesellschaft Platz zu machen. Theodor Fontane gilt als Wegbereiter und Weggenosse des Naturalismus weil die illusionslose Nüchternheit und Sachlichkeit gegenüber den Menschen und Dingen, die Verneinung des freien Willens, die Skepsis, die psychologisch verfeinerten Charakterzeichnungen, das Aufgehen im Milieu, die Verbannung der Idee aus der Dichtung, das feine Empfinden für Nervenregungen, die unbedingte Beherrschung des natürlichen Redetones, die Ehebruchs- und Eheunstimmigkeitsmotive und die preußenfreundliche Gegenwartsbeziehung der geschichtlichen Stoffe widersprechen nicht dem poetischen Realismus, führen ihn aber folgerichtig und organisch weiter zum Naturalismus, den Fontane vorbereitete. Von den jungen Naturalisten wurde er auch als der Ihre betrachtet.
Ein Beispiel eines seiner Gedichte zeigt, wie Fontane auch sich selbst sah, nüchtern und illusionslos:
„Eine kleine Stellung, ein kleiner Orden
(Fast wär ich auch mal Hofrat geworden),
Ein bißchen Name, ein bißchen Ehre,
Eine Tochter „geprüft", ein Sohn im Heere,
Mit siebzig `ne Jubiläumsfeier,
Artikel im Brockhaus und im Meyer....
Altpreussischer Durchschnitt, Summa Summarum,
Es drehte sich immer um Lirum, Larum,
Um Lirum, Larum Löffelstiel,
Alles in allem - es war nicht viel."
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Bildquelle: Theodor Fontane, deutscher Dichter und Schriftsteller; gemeinfrei, wikipedia