Fjodor Dostojewski (1821-81)
Georg Bürke
Seelenschilderer der Weltliteratur
Dostojewski in Paris (1863)
Dostojewski kam am 11. November 1821 als Sohn eines Arztes und Gutsbesitzers in Moskau zur Welt. Seine Jugend verlebte er in Moskau und Petersburg. Wegen der Teilnahme an einer Verschwörung gegen das zaristische System wurde er 1849 zunächst zum Tod verurteilt. Die Strafe wurde in einer Verbannung nach Sibirien abgemildert, wo Dostojewski, 4 Jahre in einem Arbeitslager inhaftiert war und anschließend zum Militärdienst in einem sibirischen Regiment verpflichtet wurde. Ende 1859 durfte er nach Petersburg zurückkehren.
1862 reiste er nach Deutschland, Frankreich, Belgien, England, Italien und in die Schweiz. Dostojewski litt jahrelang an Epilepsie. Am 9. Februar 1881 starb er in Sankt Petersburg an den Folgen eines Blutsturzes. Er war Mystiker und Gottsucher, Künder sozialen Empfindens und psychologischer Realist.
Er nennt sich selbst einen "Proletarier-Literaten". Thema seines gesamten Schaffens ist das Leben der Erniedrigten und die verzweifelte Menschenseele, die aber trotz aller Verirrungen sich immer wieder erhebt, getrieben von Liebe und Sehnsucht nach dem Guten, Er ist ein unübertrefflicher Seelenschilderer und ihrer feinsten Regungen in allen ihren Höhen und Tiefen, er sucht die höchsten und tiefsten Geheimnisse der menschlichen Seele, die letzten Geheimnisse des Lebens und Sterbens und der Sehnsucht nach Erlösung zu enträtseln und darzustellen mit einer unerhörten Leidenschaft und Dämonie und einer geschliffenen Dialektik. Seine Gestalten sind entweder von einem bösen Dämon gerittene Wesen, andere wieder von einer fast überirdischen Reinheit und Weichheit. Immer ist er von tiefsten Mitleid und Verstehen der gequälten Menschheit besessen. Seine Romane spielen fast ausnahmslos in der Großstadt, besonders in Petersburg, dessen Elendsviertel er mit ungeheurer Kraft und Anschaulichkeit schildert und ins Unheimliche und Gespensterhafte steigert. Doch lehnt er alle Versuche ab, die sozialen Probleme durch äußere Mittel zu lösen. Vielmehr ersehnt er die Erlösung allein von der erbarmenden Liebe Gottes, der sich dem Demütigen und Liebenden offenbart, selbstherrliches Übermenschentum aber an der eigenen Überheblichkeit scheitern läßt. Dostojewski ist einer der größten Seelenschilderer der Weltliteratur; aber immer sind es nur passive, leiderfüllte, von Leidenschaften durchtobte und kranke Seelen. Seine Werke übten einen starken geistigen Einfluß auf die Mit- und Nachwelt aus, mehr noch im Ausland als in Rußland selbst.
Werke: „Die Erniedrigten und Gekränkten". „Memoiren aus dem Totenhaus" (unerhört realistische Schilderung der Erlebnisse unter Sträflingen in der Hölle Sibiriens). „Der Spieler" (die Raserei der Leidenschaft). „Die Dämonen". „Schuld und Sühne" (die seelischen Reuequalen des aus Nächstenliebe und Mitleid zum Mörder werdenden Raskolnikow). „Der Idiot" (in. den Tiefen der Seele treffen sich die Extreme der Güte und des Sadismus). „Die Brüder Karamasow" (die geradezu tierische Leidenschaft Dmitris, die bis zum Wahnsinn übersteigerte Intelligenz Iwans, die religiöse Verzücktheit des Mönches Aljoscha).
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Teaserfoto: wikimedia, Dostojewski, 1872. Er stellte in diesem Jahr den Roman Die Dämonen fertig. Porträt von Wassili Perow - gemeinfrei