„Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst“, meinte einmal Jesuitenpater Alfred Delp (1907-1945), der als Mitglied des Kreisauer Kreises sein Leben im Kampf gegen Adolf Hitler opferte. Auf den ersten Blick irritiert der Spruch eher als er erklärt, scheint doch der zentrale Begriff der Erschütterung stark im Gegensatz zu stehen zum offensichtlichen Charakter vieler Brauchformen, die wir heute mit dem Advent als der Vorweihnachtszeit verbinden und die vorrangig eher auf Glühwein und Weihnachtsmarkt, Freude und Besinnlichkeit im Glanz der Kerzen in den Adventskränzen oder Schwibbögen, aber auch auf den häufig selbst gemachten Stress im Hinblick auf die richtige Wahl der Weihnachtsgeschenke und den damit verbundenen alljährlichen Konsumterror zielen denn auf Beschäftigung mit sich selbst.
Dennoch verweist der Spruch auf eine tiefere Wahrheit. Schon die eigentliche Wortbedeutung drückt sie aus: „Adventus“ ist der lateinische Begriff für „Ankunft“. Seit 1500 Jahren steht er in den christlichen Kirchen für die Zeit der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Denn für Christen verbinden sich in der Adventszeit die Erwartung der Geburt Jesu Christi und die Hoffnung auf seine Wiederkunft am Ende der Zeiten – und mittendrin der gläubige Mensch, der sich dieser frohen Erwartung und Hoffnung bewusst wird. Ihren Ausdruck findet die für den christlichen Glauben damit verbundene Freude in den Bibellesungen und Liedern der Adventsgottesdienste; Ausdruck dafür sind aber auch die über Jahrhunderte entstandenen und regional in reicher Vielfalt ausgebildeten vorweihnachtlichen Adventsbräuche. Wohl für jeden, ob christlich-gläubig oder nicht, erweist sich die Adventszeit als eine ganz besondere Zeit am Ende des Kalenderjahres, von Ende November bis ins letzte Drittel des Dezembers, der früher auch Christmonat oder Christmond hieß, und die uns heute vor allem als eine Zeit künstlichen Lichts erscheint.
Beginn des Kirchenjahres – und der Vorbereitung auf Weihnachten
Dabei ist die Adventszeit kirchlich gesehen eine Zeit des Anfangs. Denn der Advent zeigt den Beginn des Kirchenjahres an, das mit dem ersten Adventssonntag als dem nächsten Sonntag nach dem Toten- oder Ewigkeitssonntag einsetzt. Zurückgerechnet vier Wochen vom feststehenden Weihnachtstermin ist der erste Advent stets ein Sonntag zwischen dem 26. November und 4. Dezember, also zeitlich auch nahe am Andreastag, am 30. November, sowie demzufolge die Adventszeit im „bürgerlichen“ Jahr im Unterschied zu Weihnachten kalendermäßig beweglich und unterschiedlich lang. Kalendarisch am kürzesten ist sie, wenn der Heiligabend wie beispielsweise 2017 mit dem vierten Adventssonntag zusammenfällt.
Zu den ältesten Brauchformen im Advent gehören nächtliche Lärmumzüge Vermummter bzw. von Maskenträgern sowie Ansingebräuche zu Weihnachten und Neujahr. Seit dem 17. Jahrhundert, dem Zeitalter der Gegenreformation, sind die Adventsbräuche vorrangig christlich gedeutet und stark auf Weihnachten bezogen. Die Adventszeit wurde zur Vorbereitungszeit der Weihnachtszeit und bildet heute zusammen mit dieser den Weihnachtsfestkreis, der die Feier der Jahreswende miteinschließt und bis Lichtmess am 2. Februar reicht. Zentral an den deutschlandweit reich ausgebildeten Volksbräuchen ist seitdem der Bezug auf die Ankunft des Erlösers Jesus Christus, auch gedeutet als Lichtgestalt und Lichtbringer. Eine Reihe der Bräuche der Adventszeit ist mit den Heiligenfesten von Ende November bis Ende Dezember verbunden: so von Andreas am 30. November, von Barbara am 4. Dezember, Lucia am 13. Dezember und Thomas am 21. Dezember. Der Tag des heiligen Nikolaus am 6. Dezember, der Nikolaustag, wurde sogar ein wichtiger Bescher- bzw. Beschenkungstermin, mit dem sich darüber hinaus verschiedene andere Brauchformen verbanden. Unsere heutigen Advents- und Weihnachtspraktiken bzw. -bräuche samt zahlreicher beliebter Advents- bzw. Weihnachtslieder entstanden aber zumeist erst im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Weihnachtsfestes zur Familienfeier und der zentralen Beschenkung am Heiligabend.Beginn der Weihnachtsmärkte – und des Geschenkekaufs
Mit Blick auf die Alltagskultur erscheint die Adventszeit in Deutschland heute aber vor allem als die Zeit der Weihnachtsmärkte, des Geschenkekaufs sowie einer spezifischen weihnachtlichen Dekoration der Häuser, Wohnungen, Läden und Einkaufspassagen. Ihre überbordende Vielfalt kennt Lichtträger wie unter anderem kleine oder große Weihnachtsbäume bzw. Weihnachtssträuße ebenso wie Schwibbögen, Weihnachtspyramiden oder ganze Lichterketten an Fenstern und Häusern bzw. quer über die Straßen. Es ist eben die Jahreszeit der Dunkelheit, wo Licht aller Art seine besondere Wirkung entfaltet. Eine spezielle – vom bergmännischen Brauch der Verehrung des Lichts geprägte – „Adventskultur“ hat sich in Deutschland besonders im sächsischen Erzgebirge herausgebildet und erhalten, das deshalb auch das deutsche Weihnachtsland genannt wird. Ganz traditionell am „Männeltag“, am Samstag vor dem ersten Advent, werden hier all die Figuren und „Männel“, ob sie nun Weihrauchdüfte verbreiten, sich drehen oder als Nussknacker stramm bereit stehen, aus ihrem ganzjährigem Ablagerungsdomizil befreit und in die Stuben und Fenster gestellt.
Die Adventswochenenden samt verkaufsoffener Sonntage sind vor allem beim Handel umsatzmäßig fest eingeplante Termine im Jahr, nutzt sie doch fast jedermann zum Einkauf der Weihnachtsgeschenke. Natürlich wird dabei mit spezieller Werbung und zahlreichen Super-Angeboten nicht gegeizt, Hochbetrieb fast überall inklusive.
Adventskranz, Adventskerzen, Adventskalender, Adventsstern
Adventszeit ist heute ohne spezifische Adventsdekoration nicht mehr denkbar. Beliebt geworden sind vor allem Adventskalender und Adventskranz. Dazu gehört neben den vielen Weihnachtsfiguren und Lichtträgern inzwischen aber vielfach auch der Weihnachtsstern – vorrangig wegen der Farbkombination Rotgrün, den Advents- bzw. Weihnachtsfarben, die durch Blätter und „Blüten“ (eigentlich den Hochblättern) gebildet werden.
Diese Weihnachtsfarben rot und grün finden wir auch im Adventskranz aus Tannengrün mit vier häufig roten Kerzen. Seine Ursprünge gehen auf die Kerzenandachten des Theologen Johann Hinrich Wichern zurück, die dieser um 1840/50 in Hamburg im Rauhen Haus abhielt: Sein dazu an der Decke aufgehängter Holzreif mit 24 jeden Tag bis zum 24. Dezember, dem Heiligabend, anzuzündenden Kerzen, 1851 erstmals auch mit Tannengrün geschmückt, gilt sowohl als Vorläufer des Adventskranzes als auch des Adventskalenders. Gedruckt ist dieser erstmals 1902 für Hamburg und 1908 für München belegt. In den 1920er-Jahren erhielt er die heutige Grundform mit den 24 täglich zu öffnenden Türchen und seine Verwendung als Wandkalender zu bestimmten weihnachtlichen oder Märchenmotiven. Besonders bei Kindern beliebt wurde er als ein geheimnisvolles Reservoir täglicher Überraschungen, das zugleich mit der wachsenden Zahl geöffneter Türen die noch verbleibende Frist bis zum ersehnten Weihnachtsfest exakt bemaß. Verbargen sich zunächst nur kleine Bildchen hinter den 24 Türen, so wurde diese Art Erwartungsübung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nochmals verfeinert, als die Adventskalender nun eine Anreicherung mit Schokolade und Süßigkeiten erhielten. Inzwischen sind Adventskalender in allen Größen und vielen Formen, mit fast allem Zubehör und in fast allen Medien verbreitet, natürlich und ganz besonders auch im Internet.
Zurück zum Adventskranz: Seit dem Ersten Weltkrieg ist er wohl von Hamburg ausgehend in Norddeutschland üblich geworden. Um 1925 soll er für Köln mit vier Kerzen belegt sein; um 1930 bis 1935 eroberte er sich dann in dieser Form allgemein den ganzen deutschen Sprachraum. Ohne ihn mag wohl inzwischen kaum eine private oder öffentliche Adventsdekoration auskommen. Es ergibt sich ja auch eine ganz besondere Stimmung, wenn jeden Adventssonntag eine Kerze mehr angezündet werden und so im andächtigen Blick in ihren natürlichen Schein innegehalten werden kann – als eine Art Ankunft bei sich selbst, ein Wachwerden, ganz im Sinne von Alfred Delp.
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Literatur:
Ingeborg Weber-Kellermann, Das Weihnachtsfest. Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit, München und Luzern 21987.
Foto: Evelin Otto